Interview-Serie “5 Fragen an…”

Fabio Haebel wuchs im Dreiländereck zwischen Elsass, Basel und Freiburg auf und entdeckte schon früh seine Leidenschaft für die Gastronomie – mit 15 begann er seine Kochausbildung. Heute ist er nicht nur mehrfach ausgezeichneter Gastronom, sondern auch Gründer von Studio Haebel, einer Agentur, die das wirtschaftliche Potenzial von Hospitality für Unternehmen aller Branchen erschließt. Mit einem holistischen Ansatz und tiefem Verständnis für Hospitality entwickelt sein Team Konzepte, die Identifikation schaffen – überall dort, wo Menschen zusammenkommen.

 

Fabio Haebel, Gründer Studio Haebel (Credit: Wim Jansen)

Brandcraft: Ihr Studio Haebel steht für Kreativität und Authentizität. Wie wichtig sind diese beiden Aspekte, um sich in der heutigen Gastronomielandschaft abzuheben?

Fabio Haebel: Die Hospitality-Branche verlangt nicht nur konstante Qualität in Küche und Service, sondern auch stetige Innovation. Gäste erwarten neue Impulse – ob Gerichte außerhalb der Karte, spezielle Dinnerevents oder feudale Winzer-Abende. Kreativität hochzuhalten und regelmäßig die Komfortzone zu verlassen, macht Spaß, ist aber auch anstrengend.

Gleichzeitig zählt nicht nur, was auf dem Teller liegt, sondern auch, wie es serviert wird. Das beste Essen verliert an Wert, wenn der Service nicht überzeugt. Umgekehrt kann ein kleiner Fehler in der Küche durch aufmerksamen und charmanten Service ausgeglichen werden.

Doch Kreativität in der Gastronomie ist kein Selbstzweck – sie muss durchdacht, authentisch und umsetzbar sein. Und sie funktioniert nur dann wirklich, wenn das ganze Erlebnis stimmt: von der ersten Begrüßung bis zum letzten Glas.

Allerdings beginnt gastronomischer Erfolg nicht erst in der Küche, sondern im Büro. Der beste Gastronom sitzt am Schreibtisch – nicht, weil er dort die Gäste bedient, sondern weil hier die Grundlage für nachhaltige Kreativität und Authentizität gelegt wird. Die romantische Vorstellung, morgens mit dem Lastenrad über den Isemarkt zu radeln, Holzkisten voller Lauch und Tomaten in die Küche zu tragen, ist charmant – aber weit entfernt von der Realität. Ein Restaurant kann nur dann kreativ sein, wenn es wirtschaftlich gesund ist. Geht es dem Unternehmen gut, geht es den Mitarbeitern und Lieferanten gut. Und wenn es denen gut geht, fühlen sich die Gäste wohl – dann kann sich Kreativität in ihrer ganzen Bandbreite entfalten.

Brandcraft: Wie sehen Sie die Entwicklung der Gastronomie in den kommenden Jahren? Welche Trends und Herausforderungen prägen aktuell die Branche, und wie können sich Gastronomen darauf vorbereiten?

Fabio Haebel: Wie viele andere Branchen steht auch die Gastronomie vor einer ungewissen Zukunft – und das auf einem teils wackeligen Fundament. Sicher ist: Gegessen wird immer. Doch die entscheidende Frage ist nicht „ob“, sondern „wie“ sich die Branche weiterentwickelt.

Der Trend zeigt eine klare Richtung: Qualität gewinnt an Bedeutung, während Quantität in den Hintergrund rückt. Gäste suchen bewusste Erlebnisse, erwarten hochwertige Produkte, handwerkliches Können und ein durchdachtes Konzept, das über reinen Konsum hinausgeht. Das spiegelt sich auch in unseren Zahlen wider: Während wir in zwei unserer Restaurants einen leichten Rückgang bei den Gästezahlen verzeichnen, steigt der Durchschnittsbon deutlich. Die Gäste, die kommen, entscheiden sich gezielt für Qualität – und sind bereit, für eine außergewöhnliche Erfahrung mehr auszugeben.

Ein entscheidender Faktor für langfristigen Erfolg ist die Recurrence Rate – also wie oft Gäste wiederkommen. Sie sorgt für ein stabiles Grundrauschen im Geschäft. Ebenso wichtig ist die Churn Rate, die den Verlust von Gästen misst und so niedrig wie möglich gehalten werden muss. Beide lassen sich direkt durch exzellente Gastfreundschaft beeinflussen – die Essenz der Hospitality.

Und damit sind wir wieder beim Erlebnis: Neben konstant hoher Qualität müssen wir ständig neue Impulse setzen, sei es durch Sondergerichte, Dinnerevents oder Winzer-Abende. Kreativität und Gastgebertum sind gefragt, um Gäste nicht nur zu begeistern, sondern langfristig zu binden. Wer in Zukunft erfolgreich sein will, muss mehr bieten als nur gutes Essen – er braucht eine klare Haltung, eine unverwechselbare Identität und echte Mehrwerte.

“Gastlichkeit hat Bedeutung in allen Bereichen unseres Lebens. Indem sie das angenehme Erlebnis in den Fokus setzt, ermöglicht sie Identifikation. Überall dort, wo Menschen zusammenkommen.“

Brandcraft: Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema in der Gastronomie. Wie setzen Sie dieses Konzept in Ihren Projekten um, und welche Rolle spielen regionale Produkte für Sie?

Fabio Haebel: Nachhaltigkeit ist allgegenwärtig – zumindest in der Theorie. In der Praxis landet sie oft irgendwo zwischen Impressum und Disclaimer und wird eher als Pflichtübung denn als gelebtes Prinzip verstanden. Doch echte Nachhaltigkeit geht weit über Ökologie hinaus – sie muss auch wirtschaftlich und sozial funktionieren.

Es bringt wenig, überspitzt gesagt, eine 10-Euro-Gurke zu kaufen, wenn am Ende niemand bereit ist, den 20-Euro-Gurkensalat zu bestellen. Die Konsequenz? Nicht nur wirtschaftlicher Druck, sondern im schlimmsten Fall der Verlust von Arbeitsplätzen oder gar die Schließung eines Restaurants. Nachhaltigkeit bedeutet Balance.

Für mich steht Regionalität an erster Stelle. Kurze Transportwege sparen Kosten und schonen die Umwelt, während wir gleichzeitig lokale Erzeuger unterstützen und zur Wertschöpfung in der Region beitragen. Und mal ehrlich – meistens schmeckt’s auch einfach besser.

Bistro, Bäckerei, Lieblingsladen: kiosque

Brandcraft: Technologie spielt auch in der Gastronomie eine immer größere Rolle. Wie nutzen Sie digitale Tools oder technische Innovationen in Ihrem Betrieb, und wo sehen Sie noch Potenzial für die Zukunft?

Fabio Haebel: Technologie hat die Hospitality-Branche revolutioniert – sie ist unverzichtbar, aber auch ein bedeutender Kostenfaktor. Ein smartes Kassensystem, digitale Buchungen, Mitarbeiterzeiterfassung, Warenwirtschaft und Accounting-Tools für eine präzise Liquiditätsplanung sind längst Standard. Doch am Ende geht es nicht nur um Systeme, sondern um den täglichen Blick auf die Zahlen.

Jeder Euro zählt – vielleicht nicht im wörtlichen Sinne, aber in einem umsatzstarken Business wie der Gastronomie können bereits Nachkommastellen im Prozentbereich enorme Auswirkungen haben. Deshalb haben wir unser eigenes Dashboard entwickelt: eine maßgeschneiderte Lösung, die uns in Echtzeit zeigt, wo wir stehen. Von Personalkosten über Wareneinsatz bis hin zu Gästezahlen und Umsatztrends – alle relevanten KPIs auf einen Blick, um schneller und fundierter Entscheidungen zu treffen.

Doch wir gehen bei Studio Haebel noch einen Schritt weiter: Aktuell arbeiten wir an einer eigens entwickelten KI, die im Bereich Forecasting neue Wege einschlägt. Ziel ist es, die beiden größten Kostenblöcke der Branche – Personal und Wareneinsatz – intelligenter zu steuern und so Effizienz und Wirtschaftlichkeit nachhaltig zu verbessern.

 

Brandcraft: Inwiefern sollte die Gastronomie über das reine Kulinarische hinausgehen? Können Restaurants und Bars als kulturelle Treffpunkte fungieren, und wie schaffen Sie es, diesen Anspruch in Ihren Projekten umzusetzen?

Fabio Haebel: Gastronomie ist weit mehr als nur Essen und Trinken – sie ist ein Ort der Begegnung, des Austauschs und der Kultur. Ein Restaurant oder eine Bar kann ein sozialer Ankerpunkt sein, der Menschen unterschiedlichster Hintergründe verbindet. Gerade in einer Zeit, in der digitale Interaktion oft das persönliche Miteinander ersetzt, wird der physische Raum, in dem man gemeinsam genießt, umso wertvoller.

Um diesen kulturellen Anspruch in unseren Projekten umzusetzen, lege ich großen Wert auf Atmosphäre, Narrative und Community-Building. Das beginnt mit der Customer Journey und dem Design des Raumes – er muss einladend sein, nicht nur funktional. Offene Küchen, lange Tafeln oder bewusst gestaltete Bereiche können gezielt Interaktion fördern. Auch die Art, wie wir unser Konzept kommunizieren, spielt eine Rolle: Wir erzählen Geschichten, sei es durch die Herkunft der Zutaten, das Handwerk dahinter oder durch kulturelle Events und Kollaborationen mit Künstlern, Winzern oder Musikern.

Ein gutes Beispiel ist unsere XO seafoodbar auf St. Pauli, die nicht nur für herausragende Produkte steht, sondern auch für eine unprätentiöse, lebendige Atmosphäre, in der sich Gäste wie Einheimische begegnen. Oder der kiosque, als moderne Pastabar die auch genau so in New York stehen könnte. Hier gehen wir bewusst einen anderen Weg: Während Reservierungen in vielen Konzepten für wirtschaftliche Planbarkeit sorgen, setzen wir auf Spontanität. Ein Bistro wie der kiosque lebt von der Freiheit, einfach vorbeizukommen – ohne lange Vorausplanung, ohne feste Zeiten.

Das Feedback spricht für sich: „Endlich mal wieder ein Laden, in den man einfach so gehen kann.“ Eine kurze Wartezeit? Die nimmt jeder gerne in Kauf, wenn das Gefühl von Flexibilität und Ungezwungenheit dafür erhalten bleibt.

Letztlich ist Gastronomie ein soziales Erlebnis. Wer sie nur als Dienstleistung begreift, verpasst das Potenzial, das sie für eine Stadt, eine Nachbarschaft oder eine Szene haben kann.

Regionale Produkte und Fine-Dining-Erlebnis: Restaurant Haebel (Credit: Andreas Behr)


Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

Mehr Infos zu Studio Haebel finden Sie auf www.studiohaebel.com

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